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Der sowjetische Krieg in Afghanistan: Ein Krieg, der nie hätte stattfinden dürfen

Vor 35 Jahren, am 15. Februar 1989, zog Moskau seine Truppen aus dem vom Krieg erschütterten zentralasiatischen Land ab. Dies war der schwerwiegendste Fehler seitens der UdSSR. Die Konflikte in Afghanistan hatten bereits vor der sowjetischen Intervention begonnen.
Der sowjetische Krieg in Afghanistan: Ein Krieg, der nie hätte stattfinden dürfenQuelle: RT

Von Roman Schumow

Am 15. Februar 1989 überquerte Generalleutnant Boris Gromow die Brücke über den Fluss Amudarja zwischen Afghanistan und Usbekistan, das damals zur UdSSR gehörte. Während er den Fluss überquerte, äußerte Gromow den historischen Satz: "Kein einziger sowjetischer Soldat ist hinter mir zurückgeblieben."

Dieser Moment markierte das Ende der neunjährigen sowjetischen Intervention in Afghanistan. Dieser Konflikt wird von Historikern oft als Teil des Kalten Krieges zwischen der UdSSR und den USA eingestuft. Ohne ein Verständnis der damaligen politischen Situation in diesem zentralasiatischen Land kann die sowjetische Intervention jedoch nicht korrekt beurteilt werden.

Vorbedingungen, die zur Intervention führten

Afghanistan war für Moskau lange Zeit ein Nebenschauplatz gewesen. In den 1970er-Jahren entwickelte sich jedoch die politische Situation in diesem Land, das an die damalige Sowjetunion grenzte, zunehmend problematisch. Im Jahr 1973 brach die bisher herrschende Monarchie infolge eines Staatsstreichs zusammen und wurde durch eine kurzlebige Republik ersetzt. Die Sowjetunion unterhielt zunächst freundschaftliche Beziehungen zu den neuen Machthabern, doch dann mischte sich Moskau in deren Innenpolitik ein. In Afghanistan kämpften zwei politische Fraktionen gegeneinander um die Macht: die linken Parteien – unterstützt von der Sowjetunion – und die islamischen Fundamentalisten.

Im Jahr 1978 wurde Diktator Mohammed Daoud Khan durch einen erneuten Staatsstreich von der Macht vertrieben. Gestürzt wurde er von der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (PDPA) – einer marxistisch-leninistischen politischen Partei, die sich an der Sowjetunion orientierte.

Offiziell unterstützte die UdSSR diese Revolution, doch in Wirklichkeit hatte Moskau gemischte Gefühle hinsichtlich der Lage in Afghanistan. Selbst Generalsekretär Leonid Breschnew wurde von dem Staatsstreich überrascht. Darüber hinaus war die PDPA in mehrere Fraktionen gespalten, die sich bekämpften, während ihre Mitglieder die Lehren von Karl Marx mit der Leidenschaft von Neulingen verschlangen.

Afghanistan war eines der ärmsten und archaischsten Länder der Welt. Die Spitzen der PDPA waren begeistert von der Umsetzung von Reformen, von Modernisierung und der Veränderung dieser Situation. Allerdings wurden selbst die vernünftigsten Reformen aggressiv und kompromisslos durchgeführt und die Partei machte sich dabei viele Feinde. Wer mit ihr nicht einverstanden war, wurde eingesperrt.

Infolgedessen brach 1979 ein Bürgerkrieg aus. Die Regierung forderte die UdSSR auf, ein kleines Armeekontingent zu entsenden, um die Sicherheit in der Hauptstadt Kabul aufrechtzuerhalten. Die KGB-Spezialeinheit "Zenit" und ein Bataillon Fallschirmjäger wurden nach Afghanistan entsandt. Doch schon bald eskalierte die Lage im Land zusehends. Der Vorsitzende der PDPA, Nur Muhammad Taraki, und sein Vertrauter Hafizullah Amin gerieten untereinander in einen Konflikt, der in einem weiteren Staatsstreich mündete. Amin stürzte Taraki, ermordete diesen in der Folge und erklärte sich selbst zum Oberhaupt Afghanistans und Vorsitzenden der PDPA.

In Moskau löste dieser radikale Schritt äußerst negative Reaktionen aus, denn Taraki war ein persönlicher Freund Breschnews. Ferner wollte Amin nicht "alles auf eine Karte setzen" und nahm Verhandlungen mit den USA auf. Die sowjetische Staatsführung empfand dies als Verrat. Denn nach der Logik des Kalten Krieges hätte ein Anschluss Afghanistans an die USA und ihre Verbündeten eine Bedrohung für die Sowjetunion dargestellt. Darüber hinaus machte Amin unfreundliche Bemerkungen über die sowjetischen Partner, während die bewaffnete Opposition nach und nach den Bereich ausweitete, den sie im Land kontrollierten.

Ein großer Fehler

Im Dezember 1979 traf Moskau eine der schlimmsten Entscheidungen in der Geschichte der UdSSR: Man beschloss, Truppen nach Afghanistan zu schicken und Amin zu liquidieren. Die Sowjetunion hatte bereits erfolgreiche militärische Interventionen durchgeführt, die jedoch nicht auf ernsthaften Widerstand stießen. Die Schwierigkeiten des Einsatzes in Afghanistan wurden unterschätzt. Der Plan war, dass die sowjetischen Truppen dabei helfen würden, die Regierung zu stürzen und anschließend eine zuverlässigere und sowjetfreundlichere einzusetzen. Anschließend sollte sie dann der afghanischen Armee dabei helfen, die Lage im Land zu stabilisieren.

Am 27. Dezember 1979 wurde in Kabul eine gewagte Militäroperation durchgeführt. KGB-Spezialeinheiten, eine Abteilung Luftlandetruppen und ein Bataillon Spezialeinheiten der Sowjetarmee, bestehend hauptsächlich aus Soldaten aus den zentralasiatischen Republiken der UdSSR, drangen gewaltsam in die Residenz von Hafizullah Amin ein, neutralisierten seine bewaffneten Wachen und liquidierten Amin kurzerhand. Gleichzeitig wurde Kabul eingenommen. Damals schenkte die afghanische Bevölkerung dem Geschehen keine große Beachtung – für sie war es nur ein weiterer Staatsstreich.

Babrak Karmal, ein ehemaliger linker Studentenaktivist, wurde zum Generalsekretär der PDPA ernannt und übernahm die Führung des Landes. Unter Amin war er zur Flucht ins Ausland gezwungen worden. Nun kehrte er ins Land zurück – eine Entscheidung, die ihm nicht viel Glück bringen sollte. Die sowjetische Armee marschierte in Afghanistan ein, übernahm die Kontrolle über die wichtigsten Einrichtungen des Landes und stationierte ihre einzelnen Truppenteile, ohne auf großen Widerstand zu stoßen.

Das Kontingent, das nach Afghanistan einmarschierte, wurde aus der 40. Armee der UdSSR gebildet. Ihr wurden weitere Kräfte zugeordnet, darunter Spezialeinheiten des GRU (Auslandsgeheimdienst) und des KGB (Inlandsgeheimdienst), Einheiten des Grenzschutzes und weitere Truppengattungen. Diesem Kontingent wurde der etwas umständliche Name "Begrenztes Kontingent sowjetischer Truppen in Afghanistan" verliehen.

Die Militäreinsätze während des Afghanistankonflikts sind ein eigenständiges und komplexes Thema. Viel interessanter ist, wie sich die Situation vor Ort durch den Krieg entwickelte und zu welchen Schlussfolgerungen die jeweiligen Staatsführer kamen.

Der neue Staatsführer Afghanistans, Babrak Karmal, war sich darüber im Klaren, dass die Probleme seines Landes mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen sich nicht einfach in Luft auflösen würden – im Gegenteil, dass dies den Beginn eines großen Konflikts bedeuten könnte. Als Präsident ließ Karmal die politischen Gefangenen des Landes frei – insgesamt über 15.000 Menschen. Er führte soziale Maßnahmen ein, gewährte den Bauern Unterstützung und vieles weitere mehr. Der Bürgerkrieg in Afghanistan ging jedoch ungehindert weiter und nahm zudem eine neue Dimension an – er wurde zu einem nationalen und religiös motivierten Krieg gegen die ausländischen Eindringlinge.

Die Sowjetunion marschierte nicht einfach bloß mit Waffen in der Hand in Afghanistan ein. Neben Militärpersonal wurden auch viele technische Spezialisten und Fachleute mit ins Land geschickt, die bei der Verwaltung und bei der Entwicklung der Infrastruktur helfen sollten.

Allerdings verstand das sowjetische Volk die lokale Kultur nicht. Beispielsweise wurde Michail Anisimow zum Berater der Verwaltung der Provinz Baglan ernannt. Anisimow war ein Soldat, musste sich aber mit zivilen Angelegenheiten auseinandersetzen. In der Provinz, die er verwalten sollte, gab es fast keine zivile Infrastruktur und es gab Probleme mit der Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Er beherrschte die Sprache nicht – ein Problem, das er durch seinen Enthusiasmus und seine Energie nicht ausgleichen konnte.

Bevor Anisimow lernte, die Dinge richtigzumachen, machte er natürlich viele Fehler. Beispielsweise wurde Anisimow als Sowjetmensch zum Atheisten erzogen. Aber es stellte sich heraus, dass die maßgeblichen Menschen in Afghanistan die Mullahs waren – muslimische Geistliche. Als er versuchte, Landreformen durchzuführen, wollten die Bauern das Land, das ihnen gegeben wurde, nicht einmal bebauen, da sie an den Feudalismus gewöhnt waren. Und als ein örtlicher Arbeiter eine Wohnung zugewiesen bekam, zog er da nicht ein, weil die Frau des Nachbarn ihr Gesicht nicht bedeckte und der tiefgläubige Muslim es nicht ertragen konnte, solch eine Gotteslästerung mitansehen zu müssen.

Kurz gesagt, selbst auf den grundlegendsten Ebenen gab es viele Missverständnisse.

Der Sumpf des Krieges

Zunächst sollten die sowjetischen Truppen nur die afghanischen Regierungstruppen unterstützen. Die Realität zwang sie jedoch, sich an die Umstände anzupassen.

Während des Kalten Krieges bereitete sich die sowjetische Armee auf den Kampf gegen die NATO in einem hypothetischen Dritten Weltkrieg vor. Doch in Afghanistan zeigte sich "das Schlachtfeld" komplett anders, wo die sowjetischen Truppen von Guerillagruppen aus dem Hinterhalt angegriffen wurden. Dies stelle eine große Gefahr für die sowjetischen Versorgungskolonnen dar, die sich langsam über die schlecht ausgebauten Straßen bewegen mussten. Das "begrenzte Kontingent" war zu klein, um das gesamte Territorium des Landes zu kontrollieren, und die afghanischen Regierungstruppen waren nicht stark genug, um zu unterstützen. Infolgedessen kontrollierten sowjetische Einheiten lediglich die großen Städte und Hauptverkehrsachsen, aber überall dazwischen herrschten die Guerillas. Zunächst wurden islamische Guerillas einfach als Banditen bezeichnet. Doch mit der Zeit wurden sie als "Duchman" bekannt, was im lokalen Dialekt "Feind" oder "Gegner" bedeutet – oder respektvoll als "Mudschahid" – also "Krieger des Glaubens". Das Wort "Duchman" wurde oft zu "Duch" abgekürzt – also zu einem ähnlich klingenden russischen Wort, das so viel wie "Geist, Gespenst" bedeutet.

Der Krieg mit den "Gespenstern" geriet bald außer Kontrolle. Die Kämpfe verschärften sich und die Straßen waren mit Landminen übersät. Um dieses Problem zu lösen, führten sowjetische Truppen groß angelegte Operationen durch, bei denen sie große Teile des Territoriums räumten. Allerdings waren solche Kampagnen nicht sehr erfolgreich.

So vertrieb die sowjetische Armee beispielsweise die Mudschahedin aus einem bestimmten Dorf. Aber da es nicht genügend sowjetische Truppen gab, um die Kontrolle zu behalten, und die offizielle afghanische Armee nur über begrenzte Kapazitäten verfügte, kehrten die Militanten umgehend zurück. Darüber hinaus starben viele Zivilisten durch Luftangriffe und Angriffe mit Kampfhubschraubern. Dies motivierte viele Einheimische dazu, sich der Mudschahedin anzuschließen, um den Tod von Familienangehörigen, Freunden und Verwandten zu rächen.

Fast die ganze Welt unterstützte die Mudschahedin. Die USA, Pakistan sowie die europäische NATO und arabische Länder – damals sogar China und Iran. Sie alle unterstützten die Mudschahedin auf irgendeine Weise. Über die pakistanische Grenze kam es zu einem nie abreißenden Zufluss an Waffen. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen sowjetische Truppen kamen neue Feldkommandeure an die Macht – wie Ahmad Schah Massoud, der im Pandschschir-Tal kämpfte. Im Jahr 1982 gründeten die großen Feldkommandeure die "Peschawar-Sieben", auch bekannt als die Islamische Union der afghanischen Mudschahedin – ein Bündnis politischer, militärischer und religiöser Führer.

Das sowjetische Militär blieb dennoch mutig und geschickt. Überfälle auf die hinteren Stellungen der Mudschahedin waren militärisch äußerst wirksame Operationen, änderten jedoch nichts an der generellen Situation.

Nach Breschnews Tod kam Juri Andropow in der Sowjetunion an die Spitze. Er glaubte, dass der Konflikt lediglich eine weitere Fußnote in der afghanischen Geschichte sei – und dass eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, gepaart mit militärischen Anstrengungen, früher oder später dem Widerstand ein Ende bereiten würde.

Dies wäre wahrscheinlich das beste Szenario für das von inneren Widersprüchen zerrissene Afghanistan gewesen. Aber diese Ansicht war zu optimistisch. Verhandlungen mit anderen Ländern blieben erfolglos. Die USA hielten es für eine brillante Falle für die UdSSR. Die Führer der islamischen Opposition wollten die Regierung in Kabul stürzen. Der Konflikt ging somit weiter und wurde immer gewalttätiger. Mithilfe von Spezialeinheiten versuchten sowjetische Truppen, die Operation Zawesa (Vorhang) durchzuführen, um das Eindringen von Waffen in Afghanistan zu verhindern. Auch dieses Mal war die Operation ein glänzender taktischer Erfolg, die Soldaten und Offiziere erbrachten bemerkenswerte Leistungen, die Armee erwarb militärische Trophäen und viele Gegner wurden getötet. Aber all das änderte nichts am Lauf der Dinge.

Die zweite Hälfte der 1980er-Jahre war geprägt von Diskussionen darüber, wie der Intervention ein Ende gesetzt werden könne. Der neue Generalsekretär der UdSSR, Michail Gorbatschow, war entschlossen, den Konflikt zu beenden. Auch die Kämpfer der Mudschahedin hatten mit Problemen zu kämpfen. Sowjetische Militärs und Zivilbedienstete hatten sich an das Land und die lokale Kultur angepasst. Junge Afghanen reisten zum Studieren in die Sowjetunion, während die afghanische Armee umstrukturiert und verstärkt wurde.

Der bereits erwähnte Administrator der Provinz Baglan, Michail Anisimow, sprach mit Ironie über die neue "Kusspolitik": Er müsse individuell mit den Feldkommandanten in Baglan verhandeln und im Zuge dieser Vereinbarungen "eine Menge Banditen küssen". Die Strategie ging jedoch auf – die Umsetzung einer friedlichen Wirtschaftspolitik in seiner Provinz brachte echte Ergebnisse. Einige Vorschläge waren recht eigenartig: Beispielsweise wurden Mullahs gleichzeitig zu kommunistischen Sekretären von Parteiorganisationen ernannt. Orthodoxe Marxisten hätten einen Herzinfarkt erlitten, wenn sie davon erfahren hätten, aber die Strategie funktionierte.

Allerdings wurde der richtige Ansatz zu spät gefunden. In der Sowjetunion war der Krieg sehr unpopulär geworden und löste viele gesellschaftliche Auseinandersetzungen aus. Die Menschen verstanden nicht, warum ihre Freunde und Verwandten zum Kampf in ein fremdes Land geschickt wurden und verkrüppelt oder tot nach Hause zurückkehrten. Der Afghanistankrieg brachte den dunkelsten Begriff der späten Sowjetzeit hervor – "Fracht 200" (auf Russisch: "Grus 200"). So wurden die Särge mit den Leichen der gefallenen Soldaten genannt, weil man davon ausging, dass Sarg, Transportkiste und Leiche im Schnitt 200 Kilogramm wiegen. Bis heute deutet das russische Wort "Dwuchsotyj" ("Zweihundertster") auf eine Person hin, die im Krieg gefallen ist.

Etwa zu dieser Zeit begann Präsident Babrak Karmal, seine Pflichten zu vernachlässigen, wurde Alkoholiker und schied 1986 aus dem Amt aus. Sein Nachfolger wurde Mohammad Nadschibullāh, der versuchte, eine Politik der nationalen Versöhnung zu verfolgen. Nadschibullāh war ein entschlossener und intelligenter Mann und er versuchte, den Krieg zu stoppen. Flüchtlinge kehrten in ihre Häuser zurück und viele Mudschahedin legten infolge des von Nadschibullāh angekündigten Waffenstillstands ihre Waffen nieder. Es wurden Wahlen angekündigt, bei denen Nadschibullāh 1987 zum Präsidenten gewählt wurde.

Allerdings wurden diese Maßnahmen zu spät umgesetzt. Wäre früher die richtige Strategie gefunden worden, hätten die UdSSR und die prosowjetische afghanische Regierung obsiegen können. Doch zu diesem Zeitpunkt war der politische Schaden bereits so groß, dass Gorbatschow nur noch einen Ausweg aus der Situation wollte.

Bis 1987 nahm die Häufigkeit sowjetischer Militäreinsätze stetig ab und die Armee wurde schrittweise aus Afghanistan abgezogen. Es war jedoch sehr schwierig, den politischen Konflikt zu lösen. Niemand wusste, wie die Zukunft Afghanistans aussehen würde – Gorbatschow konnte nur anbieten, die Truppen abzuziehen.

Die sowjetischen Streitkräfte begannen 1988 mit dem Abzug aus Afghanistan, der Anfang 1989 vollständig abgeschlossen wurde. Im April 1988 wurde in Genf ein politisches Friedensabkommen geschlossen und den Regierungen Afghanistans, Pakistans, der UdSSR und der USA wurden Verpflichtungen auferlegt. Der Kernpunkt dieser Vereinbarungen war der offizielle Zeitplan für den Abzug der sowjetischen Truppen. Man nannte diese Vereinbarung damals "Durchbruchsabkommen". Doch in Wirklichkeit glich es einer "Hochzeit ohne Braut", da die Anführer der Mudschahedin nicht an den Verhandlungen teilnahmen und nicht die Absicht hatten, irgendwelche Vereinbarungen einzuhalten. Auch Pakistan und die USA kamen ihren Verpflichtungen nicht nach, aber Gorbatschow blieb entschlossen, sich zurückzuziehen.

Schließlich verließ die letzte sowjetische Fahrzeugkolonne Afghanistan über die eingangs erwähnte Brücke über den Fluss Amudarja. Rund 100.000 sowjetische Soldaten hatten das Land verlassen und es sah nicht nach dem Rückzug einer besiegten Armee aus. Die Sowjetsoldaten gingen mit einer seltsamen Mischung von Gefühlen wieder in die Heimat: Mit Erleichterung, dem Gefühl, ihre Pflicht getan zu haben – und mit Nostalgie. So wie es den sowjetischen Soldaten nicht gelang, die Mudschahedin zu besiegen, so konnten auch die Mudschahedin die sowjetischen Soldaten nicht besiegen.

Für die sowjetische Gesellschaft wurde "Afghan" – wie das Land in der UdSSR oft genannt wurde – zum Synonym für ein kollektives Trauma, ähnlich wie es der Vietnamkrieg für die US-Gesellschaft wurde. Das Leben der Kriegsveteranen – "Afghanen", wie sie genannt wurden – wurde zu einem beliebten Thema in der russischen populären Kultur. Viele Romane, Filme und Lieder widmeten sich dem Thema "Afghan" und "Afghanen" und daraus entstand sogar ein neues Musikgenre.

Manchmal haben diese Lieder auf überraschende Weise Ländergrenzen überschritten. So erfreute sich beispielsweise ein Amateur-Musikvideo mit dem Titel "I am too young to die" (zu Deutsch: "Ich bin zu jung zum Sterben") zu dem Lied des Pop-Duos Modern Talking, "Who will save the world" (zu Deutsch: "Wer wird die Welt retten"), großer Beliebtheit in Russland.

Das Lied wurde mit Videoaufnahmen von sowjetischen Schützenpanzern unterlegt, die eine afghanische Straße entlang rasen; angeblich soll dieses Lied tatsächlich in der Kabine eines der Fahrzeuge gelaufen sein, als die Aufnahmen gedreht wurden. Später, im Jahr 2000, verwendete ein US-Soldat das Lied "Caravan" des sowjetischen Barden Alexander Rosenbaum als Hintergrundmusik für ein Video seiner Reisen auf denselben afghanischen Straßen, die sowjetische Soldaten in den 1980er-Jahren bereits befahren hatten.

Die UdSSR brach 1991 zusammen, aber die Veteranen des Afghanistankonflikts bildeten eine informelle "Bruderschaft", die mehrere Jahrzehnte lang bestanden hat. Allerdings kam es zu Konfrontationen, als auf den Ruinen der UdSSR neue Kriege und Konflikte ausbrachen und viele Veteranen sich gezwungen sahen, erneut zu den Waffen zu greifen – dieses Mal nicht selten auf verschiedenen Seiten der Barrikaden.

Die Intervention war zu Ende und die sowjetischen Truppen hatten sich aus Afghanistan zurückgezogen. Der Frieden zog jedoch nicht in das Land ein. Der Bürgerkrieg ging weiter. Der Bürgerkrieg erwies sich letztlich als länger und blutiger als die Intervention Moskaus.

Wieso gingen die "siegreichen" Seiten umgehend aufeinander los? Die ehemaligen Kommandeure der Mudschahedin Ahmad Schah Massoud, Abdul Raschid Dostum und Gulbuddin Hekmatyār wandten sich gegeneinander. Vor diesem Hintergrund traten die Taliban, eine religiöse und politische Bewegung, in den Vordergrund. Obwohl ihre Mitglieder allgemein als Terroristen gelten, betrachteten viele Afghanen sie damals als eine Kraft der Erneuerung. Das Chaos stärkte jede politische Kraft, die in der Lage war, klare Spielregeln zu diktieren und das Territorium unter Kontrolle zu halten.

Die Taliban rückten langsam, aber sicher in Richtung Kabul vor und besiegten mehrere Kommandeure. Der Kampf gegen die Taliban wurde von Ahmad Schah Massoud, einem tadschikischen Feldkommandanten, angeführt. Paradoxerweise unterstützte der neue russische Staat Massoud, der im Afghanistankrieg ein unversöhnlicher Feind der sowjetischen Truppen gewesen war. Moskau wollte auf keinen Fall, dass religiöse Radikale in Zentralasien an die Macht kommen. Massoud traf sich mit vielen Offizieren der alten Sowjetarmee, gegen die er einst gekämpft hatte. Die ehemaligen Gegner sollen sich fast nostalgisch an den Afghanistankonflikt erinnert haben und konnten Mitgefühl füreinander aufbringen.

Inzwischen gelang es den Taliban fast ganz Afghanistan zu besetzen und Kabul einzunehmen. Präsident Nadschibullāh, der sich im Gebäude der UN-Mission versteckt hielt, wurde gefangen genommen und gehängt. Zu diesem Zeitpunkt kämpften nur noch vereinte Oppositionskräfte von Massoud im Nordosten Afghanistans gegen die Taliban. Die Aufständischen rückten langsam nach Norden vor und kontrollierten 2001 über 90 Prozent des afghanischen Territoriums.

Im Jahr 2001 griffen Terroristen das World Trade Center in New York an und die USA marschierten in Folge in Afghanistan ein. Massoud wurde nur einen Tag vor den Anschlägen am 11. September von Terroristen mit einer Bombe getötet. Der neue Krieg fand somit ohne ihn statt. US-Soldaten durchquerten rasch das Territorium Afghanistans – und tappten in dieselbe Falle wie die Sowjetsoldaten vor ihnen. 

Übersetzt aus dem Englischen.

Roman Schumow ist ein russischer Historiker, der sich auf Konflikte und internationale Politik konzentriert.

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